Im Prozess um den rassistischen Übergriff auf Dilan S. Im Februar 2022 am S-Bahnhof Greifswalder Strasse gibt es Neuigkeiten.
Matthias Strube, der zu den AnfreigerInnen zählt, hatte einen Antrag vor dem Landgericht Berlin auf Berufung gegen das Urteil vom April 2023 gestellt.
Die Initiative „Schaut nicht weg“ rief erneut dazu auf, in Solidarität mit Dilan das Prozessgeschehen zu begleiten. Am 28. Juni 2024 versammelten sich mehrere Antifaschist*innen um 09:20 Uhr vor dem Landgericht Berlin.
Der ursprüngliche Raum war kurzfristig geändert worden. Eine der Prozessbegleiter*innen berichtetet, dass sie von einem Justizmitarbeiter zum falschen Raum geleitet worden war und den Prozessraum erst später finden konnte.
Strube kommt erneut ohne Verteidiger*in zum Prozess. Er Alleine sitzt im vorderen Teil des Raumes bei den Richter*innen und der Staatsanwaltschaft, die Prozessbegleitung sitzt im hinteren Teil des Raumes.
Ende April letzten Jahres war Matthias Strube wegen Beleidigung und Bedrohung verurteilt worden. Hiergegen hat er Revision eingelegt.
Kurzabriss zum Tathergang (2022) und Prozessaussagen (2023)
Die TäterInnen Heiko Schwertner (44), Jennifer Gaertner (33), René Hilgendorf (52), Jennifer Mularczyk (24), Mattias Strube (43), Cornelia Ritter (55) (1) feiern am 5. Februar 2022 Jennifer Gaertners Geburtstag und sind auf dem Weg zu der von ihr betriebenen Kneipe Ariya Lounge (2) in der Greifswalder Str. 157. In der Tram zettelt die Gruppe einen Streit mit Dilan an. Es fallen Aussagen wie „Du kannst dich nicht so Verhalten in diesem Land“, „Geh dorthin, wo du herkommst“ oder „Verpiss dich aus meinem Land!“. Die Aussage „Ein deutscher Pass macht dich nicht zu einer Deutschen.“ wurde im Prozess 2024 mutmaßlich Heiko Schwertner zugeordnet. Da die getätigten Aussagen im Prozess 2023 nicht eindeutig Personen der Gruppe zugeordnet werden konnten, konnte auch nicht für alle Aussagen konkret jemand belangt werden. Jennifer Gaertner wiederum gab zu Dilan als „Kana***vieh“ und „Schl****“ bezeichnet zu haben.
Gaertner wird wegen Körperverletzung und Beleidigung zu einer Bewährungsstrafe von acht Monaten verurteilt, Ritter wegen gefährlicher Körperverletzung zu sechs Monaten. Schwertner bekommt wegen Beihilfe sechs Monate auf Bewährun. Hilgendorf und Mularczyk werden freigesprochen, Strube erhält wegen Beleidigung, Beihilfe und Bedrohung eine Geldstrafe. Erst im Laufe der Befragung gab er zu, dass er Dilan gedroht habe sie zu schlagen. Matthias Strube gab damals an: „Wir haben uns nur gewehrt.“ Rassismus habe für ihn keine Rolle gespielt. Als nicht sonderlich rassismussensibel zeigte sich während der Prozesstage im Fühjahr 2023 auch die zuständige Richterin. An der Aussage „Geh dorthin, wo du herkommst“ konnte sie nichts rassistisches finden.
Der Prozess beginnt damit, dass das Gericht vorliegende Bilder des Tathergangs betrachtet. Anwesende Journalist*innen und Prozessbeobachter*innen dürfen die Bilder nicht betrachten. Das Gericht beschreibt die Fotos. Dilan habe zwischen Jennifer Mularczyk. und Jennifer Gaertner gestanden, als Strube sich in das Gespräch einmischte. Er habe sich vor Dilan mit dem Rücken zu ihr gestellt, Dilan sei dann um Strube herumgelaufen und habe ihn von sich geschoben. Jennifer Gaertner sei näher zu Dilan gekommen und habe den Arm um Strube gelegt. Jennifer Mularczyk habe sich das Gesicht mit einem Schal bedeckt. Um 20:13 habe sich Dilan abgewendet und sich vor die Tram Tür gestellt.
Das Gericht fordert Matthias Strube nun auf den Verlauf des Geschehens zu beschreiben. Strube erzählt, er habe versucht deeskalierend auf Jennifer Gaertner zu wirken sodass sie „nicht groß rumschreit und hinterhergeht“. Er habe in seinen Armen einen kleinen Chihuahua gehalten und habe „gar nicht verstanden was los war“.
Weiter führt Strube nicht aus. Das Gericht und die Staatsanwaltschaft haben keine weiteren Fragen zu Strubes Schilderung.
Als nächstes sollen erst Dilan S. und dann die Zeugin Frau B. angehört werden. Beide sind nicht anwesend. Eine weitere Zeugin ist zur Aussage geladen worden: Jennifer Gaertner. Strube bezweifelt, dass Gaertner zum Prozess erscheinen würde, da er mit ihr seit letztem Jahr keinen Kontakt haben würde.
Das Gericht beschließt vor der Anhörung von Jennifer Gaertner bis 10:30 Uhr zu pausieren, empfiehlt jedoch nah am Prozessraum zu bleiben, da Gaertner nach Möglichkeit schon früher gehört werden könne. Um 10:30 Uhr hat Jennifer Gaertner bereits ausgesagt. In Ihrer Aussage spricht Gaertner von einem hohen Alkoholpegel während des Geschehens und sagt sie könne sich an nichts erinnern. Sie glaubt, Strube sei von Dilan geschubst worden, vielleicht auch nur berührt. Sie könne sich nicht erinnern, dass Matthias Strube etwas gesagt habe. Strube habe deeskalierend gewirkt. Er habe einen Hund auf dem Arm gehabt, habe also nichts machen können. Das Gericht pausiert erneut und setzt die Verhandlung ca. um 10:30 Uhr fort. Da die weitere Zeugin und Dilan nicht erschienen sind, verkündet das Gericht für die beiden jeweils ein Ordnungsgeld von 200 Euro, alternativ 4 Tage Ordnungshaft. Da keine weiteren Zeug*innen gehört werden können, sei das „Beweisprogramm“ somit durch.
Die Richterin sagt, dass das Verhalten von Strube anhand der vorliegenden Einschätzungen „nicht so gravierend“ sei, dass es mit „der harten Keule“ des Strafrechtes bestraft werden müsse. Das Gericht schlägt eine 500 Euro Strafe für Strube vor, die an eine wohltätige Organisation gespendet werden solle. Der Strafbestand der Beleidigung sei nicht gegeben, der der Bedrohung sei nicht sicher auszuschließen. Strube reagiert auf diesen Vorschlag mit „das ist doch nicht Ihr ernst“. Die Richterin reagiert auf ihn beschwichtigend. Auch wenn er die Bedrohung nicht so gemeint habe, könne es von der „Geschädigten“ so aufgenommen worden sein.
Strube wiederholt, er habe während der „ganzen Situation“ deeskalierendend gewirkt. Wenn es eine Bedrohung gegeben habe, sei die durch „andere Leute“ entstanden. Er beschreibt sich als „Partner“ der deeskalierend gewirkt habe.
Aus dem Kreis der antifaschistischen Prozessbegleiter*in werden vereinzelte Stimmen laut, die Unmut mit dem Vorgehen durch Geräusche signalisieren. Die Richterin wendet sich an eine Prozessbegleiter*in und verlangt nach Ruhe. Sie sagt, die Prozessbeobachter*innen würde nicht wissen was vorgefallen sei, worauf diese erwidert: „Und Sie wissen das?“. Die Richter*in sagt: „Ja.“. Die Hauptverhandlung wird unterbrochen, es wird u.A. auf die vereinzelten Störlaute verwiesen und gewarnt, dass die Prozessbeobachtrer*innen vom weiteren Vorgehen ausgeschlossen werden können.
In der Zeit der Unterbrechung, warten Dilans Unterstützer*innen vor dem Saal. Strube wird hereingerufen. Die Journalist*innen versuchen sich anzuschließen, werden aber nicht in den Raum gelassen. Aktivist*innen versuchen mit Angestellten der Justiz zu besprechen unter welchen Bedingungen mensch von der Verhandlung ausgeschlossen werden könne. Die Mitarbeiter*innen können keine Auskunft geben, sagen sie wissen es nicht. Die Journalist*innen rufen die Pressesprecherin des Gerichtes. Sie erklärt sich bereit in den Raum zu gehen um nachzusehen ob nicht doch schon weiter verhandelt werden würde. Die Richterin richtet aus, es würde ein Gespräch mit Strube geben, da dieser ja ohne Anwalt erschienen sei und deswegen aber keine Nachteile haben solle.
Nach dem Rechtsgespräch dürfen die Journalist*innen und die Begleiter*innnen zurück in den Raum. Die Richter*in erläutert: Die von Strube gäußerte Aussage „Mäuschen“ sei nicht herabwürdigend gewesen (Anm. ursprüngliches Komplettzitat: „Mäuschen, mach das noch mal und du fängst dir eine.“).
Strube wird das Angebot gemacht, ihm gegenüber die Anklage auf Grund von Geringfügigkeit fallenzulassen und die Ordnungsgeldbeschlüsse (auf Grund von Nichterscheinen) für Dilan und die Zeugin Frau B. aufzuheben. Matthias Strube stimmt zu. Das Verfahren wird eingestellt. Während Strube den Raum verlässt erklärt die Richterin erneut, in der Pause in der Strube mit dem Gericht allein war und Journalist*innen und Prozessbegleiterinnen nicht reindurften hätte keine „Geheimverhandlung“ sondern ein Gespräch mit ihm stattgefunden, man habe versucht ihm den Unterschied zwischen einem Freispruch und dem Einstellen eines Verfahrens zu erklären.
Strube ist Teil eines rechten Freundeskreises, der zum Großteil in Prenzlauer Berg-Ost beheimatet ist und aus dem auch die Gruppe die Dilan attakierte. Auch wenn Matthias Strube Dilan nicht rassistisch beleidigte oder schlug, so wird jedoch sehr deutlich dass er den Übergriff auf Dilan nicht als solchen sieht, sondern diesen zu einem Akt der Selbstverteidigung umlügt. Nicht nur vor Gericht. Kurz nach dem Übergriff teilte er auf Instagram ein Statement von Jennifer Mularczyk, in dem sie behauptete Dilan hätte sie angegriffen. Dass das Gegenteil der Fall wurde im Prozess deutlich.
Der mit Strubes Berufung verbundene Prozess ist für Dilan, die darum als Zeugin hätte auftreten sollen, eine Retraumatisierung bedeutet. Dass sie nicht erschienen ist, ist nur allzu nachvollziehbar. Strube ist das alles egal. Hauptsache er muss kein Geld zahlen und kann weiter mit seinen Nazifreunden die Zeit verbringen. Es bleibt stark anzuzweifeln, dass er und Gaertner keinen Kontakt mehr pflegen. Er wird auch weiterhin in diese Kreise eingebettet sein und auch zukünftig wahrscheinlich keine Empathie für das Opfer des Angriffs aufbringen.
Solidarität mit allen Betroffenen rechter Gewalt!
Schaut nicht weg!
https://www.instagram.com/schautnichtweg_/
(2) Nachdem öffentlich wurde dass die Kneipe ein rechter Treffpunkt ist gab Gaertner im Juni 2023 die Inhaberschaft ab. Der Laden hieß zwischendurch „Flodders“ und trägt jetzt den Namen „Zum Anker“.